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Der getaktete Mensch
Ich erspare es uns allen, die vielen Studienergebnisse aufzuzählen, die zeigen, wie sehr menschliches Lernen, das letztlich ein Verstehen bzw. einen Kompetenzerwerb ermöglichen will, niemals auf 50 Minuten getaktet werden kann. Und es soll hier im Lande keine/r meinen, dass es nicht bereits zahlreiche PädagogInnen gibt, die erkennen, dass eine Schule, die mit Hineinwachsen in ganz konkrete Lebenskontexte zu tun hat, Menschen nicht im Stundentakt Weltbilder vermitteln kann. Denn schulische Bildung bedeutet in meinen Augen das Konfrontieren von „Modi der Welterklärung“ und diese Auseinandersetzung ist wohl kaum in Stundentaktungen möglich.
Vom preußischen Bildungswesen zum pädagogischen und didaktischen Denken
Die Dauer von 45 Minuten hat sich in ihrer ursprünglichen Bedeutung am akademischen Viertel orientiert. Denn an vielen Hochschulen und Universitäten beginnen ja heute noch die Lehrveranstaltungen um eine Viertelstunde (c.t. = cum tempore) später als im Vorlesungsverzeichnis angegeben und dauern aus diesem Grund keine volle Stunde. Dies begründet sich historisch aus der Notwendigkeit des räumlichen Wechsels von Lehrenden und Studenten zwischen den einzelnen Vorlesungen und den damit verbundenen Räumlichkeiten.
Schon aus dieser ursprünglich aus dem preußischen Bildungswesen stammenden Praxis erkennen wir unschwer, dass diese Regelung der Unterrichtszeiten mit pädagogischem und didaktischem Denken äußerst wenig bis gar nichts zu tun hat. Doch immerhin dauerte es fast 100 Jahre seit dessen Einführung, bis es endlich in einem Bildungsgesetz ermöglicht wird, diese zeitlichen Rahmen ändern zu dürfen.
Pädagogisches Tun quantifizieren und schubladisieren – Ein Unwert für persönliches Lernen und Bilden
Es zeigt sich aber auch an dieser Zeitregelung, dass sich Mess- und Organisationsstrukturen unreflektiert durch so viele Jahrzehnte erhalten konnten. Vor allem erscheint so eine Entwicklung verständlich, wenn sich auch alle Lernergebnisse lange ausschließlich an quantifizierbaren Einheiten und Begrifflichkeiten festgemacht haben. Denken wir an die Anzahl von 50-Minuten-Einheiten, die einzelnen Fächer und Gegenstände betreffend. Oder auch an die 1 bis 5 Notenskala, die jeden in einer ganz konkreten Anzahl an 50-Minuten-Taktungen durchgenommen „Stoff“ mit fünf Ziffern quantifizieren möchte. All das stammt wohl ebenfalls aus einer Zeit, in der man meinte, alles pädagogische Tun und ihre Leistungsergebnisse können in konkreten Zahlen festgehalten und quantifizierend schubladisiert werden. Diese – und das scheint ja wohl ein besonderer „Unwert für persönliches Lernen und Bilden“ zu sein – bestimmen und prägen menschliche Bildungs- und Lernbiografien auf viele Jahre voraus. Denn nur wer eine ganz bestimmte Quantifizierung bzw. Taktung zugeschrieben bekommt, kann ganz bestimmte Bildungswege weitergehen.
Ob wir da aber einem menschlichen Wesen, das eben nicht aus mathematisch berechneten Algorithmen zwischen 0 und 1 besteht, gerecht werden, ist in meinen Augen nicht nur fraglich sondern menschenunwürdig. Hier kann es sich ja wohl nur um ein Bild vom getakteten Menschen handeln.