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„Wir brauchen starke Schulleiterinnen und Schulleiter!“
Autonomiebotschafter Axel Zafoschnig im Gespräch mit Dr.in Tanja Nieder, stellvertretende Leiterin des Evaluationszentrums Hessen.
Frau Dr.in Tanja Nieder, Sie beschäftigen sich als stellvertretende Leiterin des Evaluationszentrums in Hessen wissenschaftlich mit der Evaluation von Bildungs-, Schul- und Unterrichtsqualität. Welchen Stellenwert besitzen diesbezüglich autonome Schulen?
Wir wissen, dass jede Schule einzigartig ist und dass Schulen unabhängig von ihrer sozialen Lage zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen hinsichtlich Qualität ihrer Schulen und Abschlüssen ihrer Schülerinnen und Schüler gelangen. Somit muss eigentlich klar sein, dass die Möglichkeiten einer Schule, um mit Ihren spezifischen Rahmenbedingungen umzugehen, immer erweitert werden müssen, so dass Schulleiter vor Ort die Chance haben, das Beste aus dem zu machen, was sie an ihrer Schule vorfinden.
Sie sagen ja auch, Schule hat Entwicklungsdynamik und dafür sind die Schulleiter/innen in erster Linie verantwortlich. Warum sollten die Schulleiter/innen aus Ihrer Sicht diese Autonomie und Entscheidungsbefugnisse erhalten und wie können sie diese– gemeinsam mit ihrer Schulgemeinschaft, den Schülerinnen und Schülern und den Eltern – sinnvoll nutzen?
Ich schließe hier nochmals an meine Aussage vorhin an: Schulen sind unterschiedlich und Schulleiterinnen und Schulleiter vor Ort wissen, mit welchen Bedingungen sie vor Ort arbeiten müssen. Deswegen sind meiner Meinung nach auch nur die Schulleiter/innen vor Ort in der Lage, kreative Lösungen im Umgang mit genau diesen Bedingungen zu finden. Diese Lösungen zentral steuern zu wollen – also immer aus zentraler Perspektive wissen zu wollen, was für die einzelne Schule vor Ort wichtig und richtig ist – halte ich für eine Steuerungsüberforderung. Deswegen muss meiner Meinung nach mehr Verantwortung an das einzelne System übertragen werden, im Vertrauen darauf, dass die Schulleiter/innen einen besseren Überblick über ihre Bedürfnisse und die Herausforderungen, die sie zu lösen haben, besitzen. Wir wissen aus Schulinspektionsergebnissen auch, dass Schulen mit aktiven Schulleiter/innen, mit Schulleiter/innen, die ihre Aktionsräume kreativ im Sinne der Schule nutzen, tendenziell die erfolgreicheren Schulen sind.
Heißt das, dass diese Schulleitungen und Schulen keine Kontrolle mehr benötigen?
Nein, das sehe ich sogar komplett anders. Ich bin der Meinung, mehr Autonomie an den Schulen muss auch mit mehr Rechenschaftslegung und Verantwortung einhergehen, aber die zentrale Steuerung muss in einer anderen Distanz zur Schule ansetzen. Ich denke, Steuerung und Bildungsverwaltung müssen ganz klare Rahmenbedingungen vorgeben und abstecken, die definieren, wo Schulleitungen Entscheidungen eigenständig treffen können. Sie müssen ebenso dafür Sorge tragen, dass einerseits in jedem Moment sichergestellt ist, dass die Schule auf dem richtigen Weg ist und andererseits, dass Schulleiter für alle Lösungen, die sie an ihrer Schule anstreben, jene Unterstützung bekommen, die sie benötigen. Das betrifft sowohl Beratung aber auch Fortbildung, Coaching und so weiter.
„Ich habe zwar die letzten Untersuchungen ehrlich gesagt nicht so genau verfolgt, aber es würde mich wundern, wenn der Satz des Pythagoras nur im 50-Minuten-Takt gelehrt und gelernt werden kann.“ Dr.in Tanja Nieder.
Die im österreichischen Autonomiepaket vorgesehenen Rahmenbedingungen schließen auch mit ein, dass man Klassengrößen und Gruppengrößen verändern kann. Ist das aus Ihrer Sicht mit Berücksichtigung der Ihnen bekannten Daten zu empfehlen?
Ich bin schon der Meinung, dass eine Schulleitung vor Ort variabel mit Gruppenzusammensetzungen und Gruppengrößen umgehen können sollen dürfte. Es wäre aber auch zu einfach zu denken: Machen wir die Klassen kleiner, dann wird der Unterricht besser. Wir wissen, dass es keinen systematischen Effekt von der Klassengröße auf die Unterrichtsqualität gibt. Also Chancen, die vielleicht in einer kleineren Gruppe von Schülerinnen und Schülern liegen, werden jetzt nicht automatisch und systematisch genutzt. Man kann guten Unterricht in großen und in kleinen Gruppen machen. Dennoch liegt eine Chance darin, vor Ort über variablere Gruppenzusammensetzungen und Gruppengrößen nachzudenken – vor allem mit Blick auf Förderungsinteressen, die man für einzelne Schülerinnen und Schüler verfolgt. Dabei meine ich gar nicht, dass man immer nur leistungshomogene Gruppen zusammenstellt, denn es kann durchaus sinnvoll sein auch einmal leistungsheterogene Schülerinnen und Schüler zusammenzusetzen. Viel mehr denke ich an flexiblere Lösungen der Gruppenzugehörigkeit, zum Beispiel das Drehtürmodell (dieses ermöglicht, dass Schülerinnen und Schüler mit besonderen Leistungsstärken oder besonderem Förderungsbedarf auch zeitweise andere Gruppen, die eher ihren Leistungsniveau entsprechen, besuchen) oder Akzelerationsmaßnahmen, die es gestatten, Klassen zu überspringen werden usw.
Möglichkeiten der äußeren Differenzierung sollte man Schulleitern vor Ort auf jeden Fall einräumen, wobei natürlich immer noch der Schwerpunkt im Regelunterricht liegen sollte. Auch da kann man mit Gruppenzusammensetzungen und -größen sicherlich viel steuern.
Hier möchte ich gleich einhaken. Neben der Gruppengröße ist es auch angedacht die Unterrichtseinheiten ebenso wie Öffnungszeiten flexibler zu gestalten. Was sagen Sie dazu?
Das käme mir persönlich auf jeden Fall sehr entgegen. Ich habe zwar die letzten Untersuchungen ehrlich gesagt nicht so genau verfolgt, aber es würde mich wundern, wenn der Satz des Pythagoras nur im 50-Minuten-Takt gelehrt und gelernt werden kann. Hier kohärentere Zeiteinheiten zu schaffen, die so lange sind, wie man sie braucht, um etwas gelernt zu haben, das wäre mir als Schülerin auf jeden Fall sehr entgegengekommen.
Hier sind wir ja schon bei der Schule der Zukunft. Darf ich Sie als Wissenschaftlerin fragen, welche Erkenntnisse Sie aus Ihren Evaluationen für eine Schule der Zukunft ziehen?
Zurückblickend auf 10 Jahre Schulinspektion in Hessen, würde ich sagen, wir brauchen tatsächlich starke Schulleiterinnen und Schulleiter, die die Chancen haben, vor Ort zu gestalten und den Mut haben, diese Chancen auch zu ergreifen. Wir brauchen fachlich gut ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer, die darüber hinaus auch befähigt werden, mit größerer Leistungsheterogenität umzugehen, die die Aufgaben bei Inklusion und Medien bewältigen. Hier glaube ich, ist weiterhin viel Fortbildung und berufsbegleitende Weiterqualifizierung notwendig und – weil ich ja aus dem Dezernat für Evaluation komme – bin ich der Meinung, wir brauchen zuverlässige Daten, um die Qualität der Schule tagesaktuell im Blick zu behalten und reagieren zu können. Und zwar nicht im Sinne einer sanktionierenden Steuerung, sondern um zu unterstützen, wenn man sieht, da läuft etwas aus dem Ruder oder wenn man den Eindruck hat, die Schulen vor Ort brauchen diese Unterstützung.
Frau Dr.in Nieder, ich bedanke mich bei Ihnen recht herzlich für das Gespräch!