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„Autonomie ist ein Angebot!“
Dr. Stefan Brauckmann, Universitätsprofessor für Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung im Bildungsbereich am Institut für Unterrichts- und Schulentwicklung (IUS) der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, im Gespräch über die Autonomie des österreichischen Schulsystems, neue Steuerungsansätze und Bildungsgerechtigkeit.
Herr Professor Brauckmann, Sie haben sich in Ihrer Forschung intensiv mit der Schulautonomie beschäftigt. Welche zukünftigen Entwicklungsoptionen sehen Sie für österreichische Schulen durch das Bildungsreformgesetz und das Autonomiepaket 2017?
In einer Vielzahl von Schulsystemen lassen sich gegenwärtig Forderungen nach verstärkter Autonomie der Einzelschule beobachten. Österreich stellt diesbezüglich keine Ausnahme dar. Aus solchen Forderungen ergeben sich aber zugleich eine Reihe von neuen Frage- und Problemstellungen, die im Hinblick auf bildungsrechtliche Bedingungen sowie effizienzorientierte Gesichtspunkte (Optimierung von Entscheidungsprozessen bei gleichzeitiger Sicherung von adäquaten Kontrollmechanismen) nach entsprechenden Antworten verlangen. Die annoncierte Neuausrichtung von Verantwortung und Aufgabenteilung geht mit einem erweiterten Handlungsspielraum der Einzelschule und einer Funktionsverschiebung auf Ebene der Bildungsadministration mit womöglich zunehmend beratender Rolle einher. Die österreichische Ausrichtung der verheißungsvollen drei Prinzipien neuer Steuerung in eine gute Balance (ohne Gewinner und Verlierer) und Wechselbeziehung zu bringen, stellt alle beteiligten Akteure vor Herausforderungen – nicht nur die Bildungspolitik und die Bildungsverwaltung. An dieser Stelle sei noch einmal auf die grundlegende „Philosophie“ der neuen Steuerungsansätze verwiesen, die im Bildungsbereich als Verbindung von eigenverantwortlichen Bildungseinrichtungen, Standards und externer Evaluation als Ergebniskontrolle seit Jahren diskutiert und in einer Reihe von Bildungssystemen zunehmend praktiziert wird.
In ihrer internationalen Vortragstätigkeit haben Sie aus Vergleichen bestimmt die Erkenntnis gewonnen, dass die Verantwortung des Staates für die Schulen in Österreich immer sehr hoch war, dass die schulische Selbstverwaltung sehr stark durch die zentrale Schulsteuerung überlagert wurde, und dass die Freiheiten am Schulstandort eher eingeschränkt waren. Wie sollen Ihrer Meinung nach wichtige Entscheidungsrechte und Einflussmöglichkeiten in der Schule verteilt sein, damit unsere Schulen bestehende Qualität weiter ausbauen können?
Diesen Eindruck teile ich nicht. Man müsste hier stärker zwischen de jure und de facto Autonomie differenzieren. Man kann ja Schulen nicht per Gesetz zur Autonomie verurteilen, im Sinne von „Werde autonom und ich sage Dir wie“. Eher stellt sich die Frage, in welchen Bereichen die Schulen über Gestaltungsmöglichkeiten verfügen, wo rechtliche Vorgaben weitestgehend vermisst werden bzw. man nur mittelbar einwirken kann.
Autonomie ist ein Angebot, das Schulen in unterschiedlichem Umfang und Intensität nutzen. Da gibt es kein allgemeingültiges Rezept. Autonomie wird zudem nicht von allen Schulen und deren Leitung gleichermaßen als Anreizsystem für mehr Entwicklungsaktivität verstanden. Politik und Verwaltung sorgen für veränderte Rahmenbedingungen und dadurch gegebenenfalls für ein Mehr an Gestaltungsoptionen. Hier könnte eine wissenschaftliche Begleitforschung ansetzen, die einen Beitrag zu Klärung etwaiger Potenzen und Vorzüge eines Mehr an Teilautonomie leisten würde, verbunden mit der Frage, auf welche Weise etwaige Potenzen innerhalb und außerhalb der Schulen produktiv gemacht werden (können).
„Es wäre bedauerlich, wenn sich Bildungsgerechtigkeit und erfolgreiche Bildungsverläufe automatisch ausschließen würden.“ Univ.-Prof. Dr. Stefan Brauckmann
Die Schullandschaft in Österreich ist sehr mannigfaltig, und viele Schulstandorte leiden unter ungünstigen Standort- und Individualfaktoren. Wie kann man hier durch eine qualitätsorientierte Nutzung autonomer Entscheidungsspielräume bessere schulische Leistungsergebnisse erzielen, und wie kann man dadurch die Bildungsgerechtigkeit erhöhen? Sind das für Sie überhaupt anstrebenswerte Ziele?
Es wäre bedauerlich, wenn sich Bildungsgerechtigkeit und erfolgreiche Bildungsverläufe automatisch ausschließen würden. Die Schulstandorte unterscheiden sich nicht nur zum Teil massiv in ihren Ausgangsbedingungen, sondern die Pädagog/innen bringen zudem ihre eigenen Wertvorstellungen und organisationalen bzw. beruflichen Selbstverständnisse in die Zusammenarbeit vor Ort ein. Hinzu kommen umfangreiche Ansprüche von Zielgruppen und Akteuren innerhalb und außerhalb der Schule. All das gestaltet sich nur bedingt kompatibel und verlangt nach strategischer Führungskompetenz, die ebenfalls stark variieren kann.
Vor diesem Hintergrund wäre es daher nur konsequent, zu analysieren, worin Unterschiede in den schulkontextspezifisch ausgerichteten Steuerungsstrategien und in der Anwendung bestimmter Steuerungsinstrumente bestehen und wie sie sich (soweit das bestimmbar ist) auf die schulische Qualitätssicherung und -entwicklung an einzelnen Schulstandorten potentiell auswirken können. Hierzu würden wir innovativer experimenteller Forschungsdesigns bedürfen, die auch Kontrollgruppen mit einschließen. Zu einem solchen Begleitforschungsvorhaben würde ich gerne im Rahmen der regionalen Standortentwicklung einen Beitrag leisten.
Herr Professor Brauckmann, ein wichtiges Ziel in der Erweiterung der autonomen Spielräume für die Schulen stellt wohl auch die Steigerung der Motivation und der Verantwortungsübernahme durch die Schulgemeinschaft – besonders durch die Lehrenden – dar, damit das Lernangebot an die besonderen Lehr- und Lernbedingungen sowie die Bedürfnisse vor Ort angepasst werden kann. Ist das individuelle Lernangebot einer Schule wichtig oder müssen eher zentrale Ziele, etwa vorgegebene Lehrpläne, eingehalten werden. Welche Kontrolle braucht hier die Schulautonomie?
Autoren weisen darauf hin, dass es auf das Zusammenspiel verschiedener Steuerungsansätze ankommt. Die Erweiterung von Handlungsspielräumen ist ohne Rechenschaftspflicht schlichtweg nicht denkbar. Dies sind die zwei Seiten einer Medaille namens Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung. Hier gilt das Bonmot aus dem Film Spiderman „With great power comes great responsibility“ („Aus großer Macht erwächst große Verantwortung“). Hierzu benötigt man Unterstützung und Beratung. Man ist weiters auf Daten angewiesen, die aus interner und/oder externer Evaluationsverfahren stammen, auf externe Beratung und nicht zuletzt auf Verfahren und Instrumente zur internen wie externen Evaluation (z.B. Schulinspektion oder Lernstandserhebungen). Es wäre nicht zielführend, die Schulen in mehr Teilautonomie zu entlassen, sie aber auch zugleich durch eine zu starke Engführung von Seiten der Schulaufsichtsbehörden auf dem Weg zu mehr Autonomieerleben zu verunsichern. Hier braucht es einen verträglichen Mix aus Autonomie und Rechenschaftspflicht. Es wäre sicherlich nicht im Sinne aller Beteiligter, wenn die einseitige Verlagerung von Problemlösungskompetenzen zu einer strukturellen wie kulturellen Überforderung einzelner Schulen führt, die sich dann umso mehr im Stich gelassen fühlen.
Weiterführende Literatur
Zu Risiken und Nebenwirkungen von Schulautonomie lesen Sie …– Befunde aus der SHaRP-Studie
Schulautonomie oder die Verteilung von Entscheidungsrechten und Verantwortung im Schulsystem