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Wie machen das eigentlich die Anderen? – Schulcluster in Sachsen: Die Hintergründe
Nach einem Aufsatz von Prof. Rolf Koerber.
Der Nationalfeiertag meiner Heimat Deutschland wird jährlich am 3. Oktober begangen. An diesem „Tag der Deutschen Einheit“ feiern wir den Fall der Mauer und die deutsche Wiedervereinigung. Zweifelsfrei ist dieses Ereignis etwas Positives, jedoch brachte die Wiedervereinigung Deutschlands ebenso immense Herausforderungen mit sich, vor allem für die „neuen Bundesländer“ und deren Schulen.
Neben der enormen Abwanderung „in den Westen“ wurden in Sachsen 1990 noch 50.000 Kinder geboren, drei Jahre später waren es noch 23.000. Die Geburtenzahlen stiegen Ende der 90er Jahre zwar wieder, jedoch lag die Zahl der unter 3-Jährigen 2011 noch immer um 41,8% unter dem Wert von 1990. Die Zahl der Kinder und Jugendlichen im Alter bis 18 Jahre halbierte sich im Zeitraum von 1990 bis 2011 von 1.032.186 auf 557.175 nahezu. Hinzu kommt eine zunehmende Verstädterung, welche eine Schulnetzplanung für die dafür Verantwortlichen zunehmend erschwerte. Eine logische Konsequenz aus dieser Situation war, dass viele Schulen geschlossen werden mussten. Die Zahl allgemein bildender Schulen sank von rund 2.200 Anfang der 1990er Jahre auf 1.479 im Schuljahr 2011/12. Diese Entwicklung ging vor allem im ländlichen Raum nicht ohne Widerstände vor sich. Um diese abzufedern gab es 1997-2005 ein regelrechtes „Fusionsfieber“.
In diesem Schulentwicklungsprozess sollten Betroffene schließlich zu Beteiligten gemacht werden. Auf Grundlage der Freiwilligkeit entwickeln sie ihre Schule gemeinsam und in eigener Verantwortung. Seit dem Jahr 2000 gibt es dafür ein Unterstützungssystem, welches Schulen bei diesen Fusionen begleitet: Prozessmoderatoren für Schulentwicklung. Sie haben die Aufgabe durch Beratung, Begleitung und unterstützende Maßnahmen (z.B. Moderationen, Fortbildungen) die Schulentwicklung zu unterstützen, Lern- und Entwicklungsprozesse zu begleiten, Kommunikation und Kooperation zu fördern, Entwicklungsprozesse zu initiieren und für eine realistische Änderungsplanung und unterstützende Konfliktlösungsprozesse zu sorgen. Prozessmoderatorinnen und -moderatoren agieren dabei als externe Berater und nur auf Anforderung der Schulen. Oberster Grundsatz der Prozessberatung: Hilfe zur Selbsthilfe. Grundsätzlich soll stets eine ganzheitliche Schulentwicklung im Sinne des systemischen Ansatzes von Organisationsentwicklung Ziel des Entwicklungsprozesses sein. Die Beratungsinstitution wurde aufgebaut, 5 Jahre erprobt und schließlich fest in der Schulaufsicht verankert. Über 400 Schulen aller Schularten haben das Unterstützungsangebot in Sachsen bislang wahrgenommen.
Der Gewinn eines gemeinsamen Neubeginns besteht in der Ausgestaltung einer neuen gemeinsamen Kultur und der Entwicklung eines neuen Teams
Jede Schule ist anders, jede Schule hat ihre ganz eigene Kultur. Bei Fusionen prallen diese Organisations- aber auch Umgangskulturen aufeinander. Dazu gehören u.a. der Umgang mit Fehlern und Problemen im Kollegium, das Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern, die Kommunikation mit Eltern und externen Partnern, Schultraditionen und -feste und vieles mehr. Wird eine Schule aufgelöst und die andere bleibt, so sollte diese Änderung als Chance begriffen werden. Bei einer Zusammenlegung von zwei oder mehr Schulen muss es darum gehen, aus dem Besten der jeweiligen Kulturen etwas Neues zu erschaffen und die Betroffenen dabei mit auf den Weg zu nehmen um sie zu Beteiligten machen. Dabei muss es auch bewusst gestaltete Gelegenheiten geben, Abschied zu nehmen, wenn bspw. der Name oder ein Schulgebäude aufgegeben werden sollen. Eine Trauerphase ist nötig um sich dabei auch auf einen Neubeginn einlassen zu können. Der Gewinn eines gemeinsamen Neubeginns besteht in der Ausgestaltung einer neuen gemeinsamen Kultur und der Entwicklung eines neuen Teams. Aber Achtung, auch ein derart erweitertes Team wird die klassischen Phasen der Teamentwicklung durchlaufen: Auf eine distanzierte Begegnung folgt zunächst eine Konfliktphase, bevor sich Arbeitsregeln herausbilden, die im Idealfall zu einer guten Teamkultur führen. Organisationen mit positiven Fusionserfahrungen setzen zumeist auf ein dreistufiges Verfahren:
- Hohe Prozesstransparenz: Hier ist es wichtig, so früh wie möglich mit offenen Karten zu spielen, alle Betroffenen frühestmöglich in den Prozess einzubinden und alle relevanten Informationen zur Verfügung zu stellen. Ist die Entscheidung zur Fusion getroffen, so sollten sich zunächst die Schulleitungen der betroffenen Schulen ggf. mit Unterstützung der Schulaufsicht zu der Fusion als gemeinsamer Gestaltungsaufgabe bekennen und das ihren jeweiligen Schulen auch so kommunizieren. Um Verunsicherungen zu vermeiden, sollte dann sobald als möglich ein „Fahrplan“ zur Schulfusion erstellt werden, damit alle Betroffenen wissen, zu welchem Zeitpunkt sie mit welchen Veränderungen rechnen müssen.
- Der aktive wechselseitige (Kennen-)Lernprozess: Das Wichtigste ist zunächst, dass sich beide Fusionspartner als Lernende verstehen, auch und gerade dann, wenn etwa eine Schule ihren Standort aufgibt. Gerade an jenem Standort gibt es womöglich bewahrenswerte Traditionen, wertvolle Erfahrungen und Kontakte, die die künftige Schule dringend gebrauchen kann. Es ist also wichtig neben den gemeinsamen Beratungen zur neuen Schule auch den Austausch auf individueller Ebene zu fördern: Stichwort gegenseitige Besuche und Hospitationen. Im Zentrum steht dabei immer die Fragestellung: „Was können wir von den Anderen lernen?“
- Die gemeinsame Weiterentwicklung: Zu diesem Zeitpunkt müsste allen Beteiligten klar sein, dass die fusionierte Schule immer eine neue bzw. andere Schule ist, auch wenn eine der Schulen den Namen behalten hat (ein Namenswechsel wäre jedoch die günstigere Variante). Diese neue Schule braucht auch eine neue gemeinsame Identität (corporate identity), die sich auch in einem neuen Design nach außen hin der Öffentlichkeit präsentieren und sich so manifestieren sollte. Die gemeinsame Arbeit an einer solchen neuen gemeinsamen Identität, u.a. über das Design, die Neufassung oder zumindest Überarbeitung des Schulprogramms und weiterer Punkte tragen zur Team- und Qualitätsentwicklung einer neu fusionierten Schule mit bei.
Ausgangslage und Voraussetzungen sowie die Rahmenbedingungen für die Bildung von Schulclustern sind in Österreich andere als in Sachsen, wo Schulfusionen auf Grund der demographischen Entwicklung zwangsläufig stattfinden mussten. In Österreich verfolgt das Clusterkonzept vor allem die gemeinsame Nutzung von pädagogischen Ressourcen, die Hebung der Qualität des Unterrichts, sowie die stärkere Professionalisierung des Schulmanagements und die Verknüpfung der regionalen Zusammenarbeit.
Dennoch: Sachsen hat in den vergangenen Jahren vorgemacht, wie Schulfusionen (oder in Österreich eben freiwillige Zusammenschlüsse zu Schulclustern im Rahmen der Schulautonomie) erfolgreich ausgestaltet und bewältigt werden können. Im nächsten Beitrag von „Wie machen das eigentlich die Anderen? Schulcluster in Sachsen“ lesen Sie, wie das in der Praxis konkret vonstattenging und welche Erfahrungen ein Prozessmoderator damit gemacht hat.
Prof. Dr. Rolf Koerber ist Verantwortlich für die Lehrpersonenausbildung im Fach „Wirtschaft-Technik-Hauswirtschaft/Soziales (WTH/S)“ für die sächsischen Oberschulen an der Technischen Universität Dresden. Als Erziehungswissenschaftler und Lehrpersonenbildner hat er selbst einen Lehramtsabschluss und hat die Schulentwicklungsbegleitung in Sachsen aufgebaut, die zahlreiche Schulfusionen begleitet hat. Darüber hinaus war er im Grundsatzreferat des Kultusministeriums tätig. Seit Ende 2017 berät er das BMBWF bei der Schulclusterbildung.