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Wie machen das eigentlich die Anderen? – Schulcluster in Sachsen: Ein Praxisbeispiel
Nach einem Aufsatz von Rolf Koerber, der sich auf den Bericht des ehemaligen Prozessmoderators Henryk Hambsch stützt, heute Schulleiter in Meißen.
Die Ausgangssituation: In einer Stadt mit ca. 60.000 Einwohner/innen begann 2003 nach Vorgaben der dortigen Stadtverwaltung die Verschmelzung dreier von insgesamt vier Förderschulen zu einem gemeinsamen Förderschulzentrum. Alle drei Schulen mit 13, 18 und 27 Lehrpersonen sollten ihre bisherigen Standorte aufgeben und gemeinsam in einem neuen Standort aufgehen. Es bestand vielfach eine Verunsicherung über den künftigen Einsatzort, eine Verbesserung der räumlichen Bedingungen wurde von den Lehrer/innen dabei nur teilweise erwartet. Auch viele weitere Fragen waren ungeklärt, wie z.B. die Personalentscheidung über die künftige Schulleitung. In Folge dieser Verunsicherungen warfen die Kollegien, den Verantwortlichen in Stadt- und Schulverwaltung eine zu geringe Transparenz sowie eine zu geringe Beteiligung bei der Entscheidungsfindung vor.
In der ersten Kontaktphase der Prozessmoderator/innen mit den beteiligten Lehrkräften teilten alle die Einsicht in die Unabwendbarkeit der Fusion, aber auch den Wunsch sich in dieser Entwicklung von Prozessmoderator/innen begleiten zu lassen, um selbst und aktiv gemeinsam das Beste aus der Situation zu machen. Zudem bestand auch der Wunsch, die bisherigen Identitäten im zukünftigen Förderschulzentrum zu bewahren und im Rahmen der gemeinsamen Arbeit Klarheit über den Fusionsprozess und die Arbeit an der neuen Schule zu erhalten.
Empfehlung der Prozessmoderator/innen: Identität der bisherigen Schule widmen, Werte, Erfolge und Schlüsselfaktoren am Standort herausfinden
Die Beteiligten folgten der Empfehlung der Prozessmoderator/innen, sich zunächst der eigenen Identität ihrer bisherigen Schulen zu widmen, um herauszufinden, was die jeweiligen Werte und Erfolge sind und welche Schlüsselfaktoren es an den einzelnen Standorten gibt, die dies möglich gemacht haben. Außerdem sollte den Kollegien damit ermöglicht werden, eine positive Bilanz ihrer bisherigen Arbeit zu ziehen. Ziel dabei war es, die Beteiligten zu stärken um mit Zuversicht und Selbstwirksamkeitsbewusstsein an die neuen Herausforderungen gehen zu können.
Dazu erhielten die Kollegen folgende Vorgaben für ein Partnerinterview:
Ziele:
- Erkunden, Verstehen und Würdigen der „Juwelen“ ihrer Schule
- Erkennen und genaues Beschreiben der Bedingungen ihrer Schule, die diese Erfolge/Schätze möglich werden ließen, z.B. Kollegium, Aufgaben, Regelungen, Traditionen, Fortbildungen, …)
- Verändern der Wahrnehmung – weg von „Vieles misslingt, fehlt noch“ hin zu „Vieles gelingt bereits jetzt ganz gut“
- Stärken von Vertrauen und Mut für die Zukunft
Interviews:
- Machen Sie sich mit den Tipps für die Interviewer in Ruhe vertraut!
- Partner suchen, auf den man neugierig ist.
- Es kann (fast) nichts schief gehen!
- Die Leitfragen und Tipps sind nur Orientierungen – Fragen Sie nach eigener Neugier und mit Ihren Worten!
- Halten Sie Gegenseitig Ihre besten Geschichten und Zitate schriftlich fest!
- „Bleiben Sie schön neugierig!“
Interviewleitfaden
Fragenblock 1: Wahrnehmung der Schule
- Um zu beginnen, erzählen Sie mir bitte von Ihrer Anfangszeit in unserer Schule. Wann kamen Sie zu uns? Was hat Sie zu uns hingezogen? Was waren Ihre ersten Eindrücke und was hat Sie am Anfang begeistert, als Sie zu uns kamen?
- Bitte erinnern Sie sich an einen Zeitraum, der für Sie ein echter Höhepunkt war. Eine Zeit, in der Sie besonders begeistert waren, sich wohl und lebendig fühlten, in der Sie sich vielleicht besonders gut einbringen konnten. Was ist da geschehen? Wer war dabei? Was ermöglichte dieses Erlebnis? Was können wir daraus lernen?
- Was schätzen Sie besonders an sich, an Ihrer Arbeit sowie an unserer Schule?
Fragenblock 2: Zukunft unserer Schule, des Förderschulzentrums
- Welches sind Ihrer Meinung nach die Schlüsselfaktoren, die unserer Schule und auch dem künftigen Förderschulzentrum Lebendigkeit und Kraft geben (werden)?
- Wenn Sie das künftige Förderschulzentrum, wie immer Sie wollten, gestalten oder entwickeln könnten, welche drei Dinge würden Sie tun, um unsere Lebendigkeit, Kraft und unseren Erfolg nachhaltig zu steigern?
- Es ist das Jahr 2010 und wir sind über unsere kühnsten Träume hinaus erfolgreich geworden. Wie hat sich unsere Schule verändert?
Alle drei Kollegien bekamen die gleiche gemeinsam vereinbarte Arbeitssequenz angeboten, prozessorientiert und dem jeweiligen Arbeitsverlauf angepasst. Neben der Betonung positiver und erfolgreicher Aspekte wurde aber auch ein Themenspeicher für Probleme, noch zu klärende Themen und Kritik eingerichtet, womit verhindert werden sollte, dass heikle Themen die Arbeit behindern und offene Fragen für die weitere Arbeit gesammelt werden konnten. Das Ganze ließ sich mit allen drei Kollegien im Wesentlichen wie geplant durchführen und es gelang ihnen auch eine positive Bilanz ihrer bisherigen Arbeit zu ziehen, eigene Stärken zu erkennen und Zuversicht und Selbstwirksamkeitsbewusstsein für die neue Herausforderung zu schöpfen. An allen drei Schulen wurden die wichtigsten Ergebnisse und Faktoren als Schlüsselfaktoren für die künftige Arbeit gesammelt. Dies waren im konkreten Fall z.B.:
- Möglichkeiten des gemeinsamen Erfahrungsaustauschs
- Arbeitsgruppenarbeit, Teamgeist, Arbeitsteilung, Übertragen von Verantwortung
- Personaleinsatz erfolgt nach den Fähigkeiten und Stärken der Kollegen
- Feste Traditionen, Projekte und Schulfeste aufrechterhalten
- Schulförderverein
- Grenzen akzeptieren, Schwerpunkte setzen,
- Zielgerichtete Fortbildung, Fachwissen multiplizieren, gegenseitige Hilfe,
- Fachliche Kompetenz
- Öffentlichkeitsarbeit
Der Themenspeicher wurde von allen drei Kollegien vor allem in der Plenumsarbeit stark angereichert, womit ein guter Ausgangspunkt für die gemeinsame Maßnahmenplanung geschaffen war. Die Arbeit wurde schließlich noch einmal reflektiert, hier ein kleiner Auszug:
„Die Besinnung auf unsere positiven Ansätze tat gut, die Strukturierung ist wertvoll.“
„Die Schlüsselfaktoren, die wir in unserer Arbeit erkannt haben, geben Sicherheit und Zuversicht für den neuen Anfang.“
„Wir haben schon so viele Herausforderungen gemeistert, diese schaffen wir auch.“
Als nächstes erarbeiteten die Steuerungsgruppen der Kollegien eine gemeinsame Übersicht der Ergebnisse, stellten diese den Kollegien vor und gingen schließlich damit in eine erste gemeinsame Zukunftswerkstatt. Hier wurden kollegiumsübergreifende Projektgruppen gebildet in welchen die Grundzüge einer gemeinsamen Vision und erste Arbeitsschwerpunkte bestimmt wurden. Der Prozess wurde dabei von den Prozessmoderator/innen gemeinsam mit der Steuerungsgruppe und den Schulleitungen gesteuert und die Maßnahmen schließlich transparent und erfolgreich umgesetzt.
Nach der vollzogenen Fusion stand nun im Weiteren die Integration der verschiedenen Schulkulturen an. Grundsätzlich wichtig dabei ist immer der Faktor Zeit: Ein solcher Prozess braucht zumindest drei bis vier Jahre und Schulentwicklung geht dann schließlich in den neu geschaffenen Strukturen immer weiter, Tag für Tag und Jahr um Jahr, solange es die Schule eben gibt.
Im nächsten Artikel von „Wie machen das eigentlich die Anderen? Schulcluster in Sachsen“ lesen Sie etwas über die alltäglichen Erfahrungen und Herausforderungen eines Prozessmoderators und dessen Ausblick für (Bundes-)Länder, und Schulen die vor einem solchen Prozess stehen.
Prof. Dr. Rolf Koerber ist Verantwortlich für die Lehrpersonenausbildung im Fach „Wirtschaft-Technik-Hauswirtschaft/Soziales (WTH/S)“ für die sächsischen Oberschulen an der Technischen Universität Dresden. Als Erziehungswissenschaftler und Lehrpersonenbildner hat er selbst einen Lehramtsabschluss und hat die Schulentwicklungsbegleitung in Sachsen aufgebaut, die zahlreiche Schulfusionen begleitet hat. Darüber hinaus war er im Grundsatzreferat des Kultusministeriums tätig. Seit Ende 2017 berät er das BMBWF bei der Schulclusterbildung.