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Die Coronakrise und das Bildungssystem: Herausforderungen und Chancen – Teil 1
Was hat Corona mit uns gemacht? Der Versuch einer Bestandsaufnahme einer Katastrophe und ein Aufzeigen erster Wege aus der Krise.
März 2020: Wie gelähmt
Das Schuljahr 2019/20 geht zu Ende und es war ein Schuljahr, wie es keines je zuvor in der Geschichte des österreichischen Bildungswesens gegeben hat. Mit dem 16. März brach ein Schreckensszenario über Österreichs Schulen herein, das sich weder die fantasievollsten Science-Fiction-Autor/inn/en noch die Vertreter/innen pessimistischster Gesellschaftsutopien je vorstellen konnten: Von einem Tag auf den anderen hatte ein Virus das gewohnte Alltagsleben und damit auch alle Funktionen der Schule als Lern- und Sozialraum lahmgelegt. Die Angst vor einer Ansteckung in größeren Menschenansammlungen machte die Schulschließungen notwendig, stellte alle Verantwortlichen vor größte Herausforderungen und bedingte die zumindest teilweise Neuorganisation in so wichtigen Bereichen wie Arbeit, Familie und Bildung.
Das eigene Zuhause und die Familie wurden der Lebensmittelpunkt und die menschlichen Hauptaktivitäten beschränkten sich auf die Sicherung der Primärbedürfnisse wie Essen, Medienkonsum und „gesund bleiben“. Aber Österreich wäre nicht Österreich, wenn es sich nach einer ersten Phase der Schockstarre, der Einschränkungen und der Notfallregeln nicht sofort wieder dazu aufgerafft hätte, wirkungsvolle Maßnahmen für ein funktionierendes Zusammenleben und Weiterarbeiten in der Krise für alle gesellschaftlichen Bereiche zu entwickeln.
Wie sollte es mit den Schulen weitergehen?
Obwohl dies in den Wochen vor Ostern für die rund 1,1 Millionen Schüler/innen in den mehr als 6000 österreichischen Schulen noch etwas langsam anlief und man sich bereits darauf einstellte, erst nach den Ferien in die Schulen zurückkehren zu können, wurden bereits umfangreiche Pionierleistungen bei der Umstellung des Unterrichts vom Präsenzunterricht auf das Distanzlernen zu Hause erbracht: Voraussetzungen hinsichtlich Hard- und Software wurden eiligst überprüft und wo nötig neu geschaffen, wesentliche Informations- und Kommunikationskanäle wurden ausgebaut und durch die Lehrer/innenschaft ging ein Ruck der Solidarität mit den von ihnen abgeschnittenen Schüler/inne/n. Man wollte einfach fachlich, aber auch methodisch und didaktisch weiter für die Kinder und Jugendlichen da sein und ihnen helfen, ihre Ausbildung vor dem Stillstand zu bewahren. Die Bandbreite reichte hier vom vollständig ausgebauten digitalen Unterricht an Sekundarschulen bis hin zu von der Schule aufgelegten Papierversionen von Arbeitsaufträgen für die Kinder der ersten bis vierten Volksschulklassen.
Der Wille zur Verantwortungsübernahme für den weiteren Lernprozess war also sofort erkennbar. Zunächst fanden jedoch – auch auf Geheiß der Bildungsverantwortlichen – ausschließlich Vertiefungen des bereits vermittelten Lehrstoffes und Vorort-Kinderbetreuung in systemrelevanten Fällen statt.
Nach Ostern: Jetzt geht die digitale Fernlehre erst richtig los
Dies änderte sich jedoch grundlegend, als feststand, dass nach dem 15. April auch weiterhin nur Fernunterricht angeboten werden könnte: Videokonferenzen über Office 365, Zoom oder Skype gehörten zum täglichen Planungsablauf der Lehrer/innen; die Ausgabe, begleitende Beratung und Beurteilung von elektronisch übermittelten Arbeitsaufträgen und Übungsmaterialien wurden zur gerne akzeptierten Gewohnheit; und die ständige Auseinandersetzung mit neuen pädagogischen Herausforderungen bestimmte den Arbeitsalltag aller am Bildungsgeschehen Beteiligten.
Die Schulen verzichteten auf ihre schulautonomen Tage, die Schulleitungen und die Schulqualitätsmanager/innen versuchten sicherzustellen, dass kein/e Schüler/in unerreichbar blieb und die Lehrer/innen schlossen sich neben ihrer Betreuungsaufgabe mit den Eltern kurz, um beim Homeschooling begleiten und helfen zu können. Eine wichtige Rolle kam natürlich auch den Schulerhaltern zu, die speziell in der zweiten Phase der Schulschließungen und vor der Wiedereröffnung gewährleisten mussten, dass genügend Masken und Desinfektionsmittel zur Verfügung standen.
Die nie dagewesene Ausnahmesituation erforderte es aber auch, dass durch Informationserlässe und Verordnungen ein bundesweit identisches Vorgehen für die Schulen ermöglicht wurde. Hier muss man den Sektionen und Abteilungen im BMBWF, allen voran der Legistik, der Pädagogik und der Kommunikation, Anerkennung zollen, weil erst durch die durchgängig fortgesetzte Zusammenarbeit all dieser Proponent/inn/en, durch die effiziente Koordination und Kundmachung von Maßnahmen, sowie durch die – zugegebenermaßen für die Schulleitungen manchmal sehr stressigen – Datenerhebungen, ein positiver Eindruck von Normalität geschaffen werden konnte, der für all Beteiligten eine Zusatzmotivation darstellte. Gleiches gilt für die Bildungsdirektionen, die in den Bundesländern erfolgreich als Unterstützungs- und Beratungseinrichtungen wirkten und so unter Beweis stellten, dass ein effizientes Krisenmanagement nur mit allen Menschen gemeinsam möglich ist.
Ein Gefühl der Zusammengehörigkeit macht sich breit
Man fühlte sich also weder als Eltern/Erziehungsberechtigte oder Schüler/in, noch als Schulleiter/in oder Lehrer/in in dieser schweren Zeit jemals völlig allein gelassen – man konnte trotz aller strengen Vorgaben mitreden, kommunizieren und mitgestalten. Der Wille zur positiven Bewältigung der Krise war überall vorhanden, man wollte sich im Hinblick auf die Verantwortung für die Schüler/innen nicht unterkriegen lassen und ein uneingeschränktes Bekenntnis zur Weiterführung der Bildung signalisieren. Auch die digitale Aufbruchsstimmung war überall erkennbar: Das computergestützte Lernen von zu Hause aus war plötzlich Realität geworden, man war tatsächlich – wenn auch mit gigantischer unerwarteter Anschubförderung – im Zeitalter der Digitalisierung, des Distance Learning und des Home-Office angekommen. Ohne die Krise hätte das zweifellos noch viel länger gedauert.
Aus einigen Schulen gab es sogar fast euphorische Rückmeldungen, die darauf schließen ließen, dass man schon früh gelernt hatte, mit der neuen Situation und dem Online Learning gut umzugehen. So schrieb mir zum Beispiel die Direktorin einer BHS auf meine Nachfrage, wie die Schule denn eigentlich für den Shutdown vorbereitet wäre, bereits am 12. März 2020:
„Wir haben uns an unserer Schule in den letzten Tagen sehr gut auf den Fernunterricht vorbereitet und werden mit diesem am Montag beginnen. Da wir alle recht erfahren mit der „besonderen“ Pädagogik im Online Teaching sind, wird diese Form des Unterrichts die Schulschließung gut überbrücken. Er wird selbstverständlich nachvollziehbar und dokumentiert sein.“
Obwohl also hier noch von „Überbrückung“ die Rede war und sich eigentlich niemand auf fast drei Monate und mehr der physischen Separation von Lehrenden und Lernenden eingestellt hatte, konnten aus derzeitiger Sicht und Analyse doch wichtige Erkenntnisse aus der Corona-Krise für die Zukunft der Schulen gewonnen werden.
Resilienz ist angesagt
Trotz aller Ängste haben die Menschen in Österreich sich als mit sehr großer Resilienz ausgestattet erwiesen. Auch hat sich, wider alle Erwartungen, der gesellschaftliche Konsens herauskristallisiert, dass Bildung ein menschliches Grundbedürfnis ist. Den Kindern an den Volksschulen und in der Sekundarstufe I, also an der AHS-Unterstufe und an den NMS, fehlten zunächst natürlich ihre Bezugspersonen an der Schule, ihre Lehrer/innen genauso wie die Mitschüler/innen. Auch der Umgang mit den elektronischen Medien, die nun plötzlich den Unterricht dominieren sollten, war nicht für alle einfach und friktionsfrei – weder für die jungen Lernenden noch für jene Lehrenden, die vielleicht gehofft hatten, nie digital unterrichten zu müssen.
Nicht zu vergessen sind dabei aber auch die Erfahrungen jener Kinder, die aufgrund der Arbeitstätigkeit und Unabkömmlichkeit ihrer Eltern einen neuen schulischen Alltag mit Mund-Nasen-Schutz, Abstandsregeln und Hygienemaßnahmen sowie in Kleingruppen vor Ort neu erlernen mussten und diesen hoffentlich – auch durch die Zuwendung der Lehrer/innen – bestmöglich überstanden haben, obwohl sie zunächst weder gemeinsam musizieren noch Sport treiben durften.
Die Schüler/innen der Sekundarstufe II an AHS und BHS waren davon zunächst eher weniger betroffen, weil sie sich beim Organisieren ihres eigenen Lernprozesses, vor allem mit Hilfe digitaler Unterrichtsmittel, auch zuvor schon leichter getan hatten. Microsoft Teams, Lernplattformen wie Moodle und Letto, aber auch die elektronischen Ausgaben der Lehr- und Arbeitsbücher, die die österreichischen Schulbuchverlage blitzschnell für einen reibungslosen Unterrichtsablauf auf Distanz freigeschaltet hatten, sowie viele weitere Initiativen von allen Seiten, haben die schulische Welt verändert und innovative Lehr- und Lerninstrumente sind wohl kaum mehr aus dem Unterrichtsalltag wegzudenken. Sowohl Lehrer/innen als auch Schüler/innen haben sich zumeist gut – einerseits durch den Druck der Pandemie, andrerseits durch Zweckoptimismus – auf diese neue Realität eingestellt und werden damit auch in Zukunft gut umgehen können.