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Die Coronakrise und das Bildungssystem: Herausforderungen und Chancen – Teil 2
Welche Lehren kann man aus der Coronakrise ziehen? Wie werden die Schulen in Zukunft arbeiten? Nachdem sich der erste Teil des Berichts dem Versuch einer Bestandsaufnahme der Corona-Krise für den Schulbereich gewidmet hat, folgt im zweiten Teil ein Blick auf erste Erkenntnisse und zukünftige Handlungsfelder, um den gewonnen „Schwung“ durch die Krise nicht zu verlieren.
Social distancing weckte auch Sehnsüchte
Eine wichtige Erfahrung der coronabedingten Isolation war auch die oft geäußerte Forderung nach ersehnten Realbegegnungen und sozialen Kontakten: „Gebt uns unser altes, normales Leben zurück!“ war wohl eine der am meisten gehörten Äußerungen zu den Beschränkungen. Kann diese Forderung aber auch für das Lernen gelten? Wollen wir unser „altes“ Lernen, unseren traditionellen Unterricht, unsere Präsenzzeiten vor der COVID19-Krise wiederhaben? Ich glaube nicht – zu viel hat sich diesbezüglich getan, zu sehr haben sich die Schulgemeinschaften an den Einzug des digitalen Lernens in den Unterricht gewöhnt und zu sehr haben Eigenverantwortung und Lernen mit individuellem Tempo zu Hause Einzug in den Schüler/innenalltag gehalten. Die Schule ist eben nicht mehr der einzige Lernraum – man kann tatsächlich auch gut zu Hause lernen, wenn die gesetzlichen und infrastrukturellen Möglichkeiten dafür geschaffen werden.
Ein weiteres „Learning“, das man aus der Krise mitnehmen kann, ist folgendes: Auch die Lehrer/innen haben Gefallen an der neuen Methodik gefunden; das Arbeiten von zu Hause war – wenn auch bislang nicht in so intensiv durchgeführter digitaler Kommunikation – immer schon Teil ihrer Lehrverpflichtung und spannendes Element experimentellen Lernens gewesen. Das Homeoffice kann also auch ein funktionierendes Unterrichtsprinzip für offenes und kooperatives Lernen darstellen und man sollte sich in Zukunft auch mit dem Gedanken anfreunden, dass Lehrer/innen Unterrichtseinheiten, Arbeitsaufträge und Webinare erfolgreich von zu Hause aus gestalten können.
Für die Schüler/innen bedeutet der digitale Fernunterricht auch die Chance, sich eine weitere Lernstrategie, nämlich jene des Blended Learning, also des abwechselnden Verwendens unterschiedlicher Lernmethoden, anzueignen und so firm für die Herausforderungen der digitalen Welt, sowie ihrer zukünftigen Berufs- und Arbeitswelt, zu werden. Sie finden auf der ganzen Welt Zugang zu Open Source Materialien, mit denen sie interessensbasiert lernen können, sowie zu Remote Labs, in denen sie exploratives und experimentelles Lernen zur Erweiterung ihres Wissenshorizonts und ihrer individuellen Kompetenzen betreiben können.
Die Frage der Chancengleichheit
Natürlich darf man neben den oben skizzierten Idealfällen auch nicht darauf vergessen, dass es für eine Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit für alle auch der entsprechenden technischen Infrastruktur in Form von Netzwerken und Endgeräten bedarf, die ein solches Lehren und Lernen erst auch jenen ermöglichen, die aus welchen Gründen auch immer, unter solchen finanziellen Belastungen zu leiden haben, dass sie sich eine funktionierende elektronische Lernumgebung nicht so einfach leisten können. Aber auch hier ist ja unter Beweis gestellt worden, dass die Unterstützungsmaßnahmen und Hilfsaktionen, etwa jene mit den zusätzlichen Laptops, Abhilfe schaffen konnten und die Situation entschärfen halfen.
Was kann anders werden?
Man wird aufgrund der in den letzten Monaten gemachten Organisations- und Unterrichtserfahrungen vielleicht sogar auch einige positive Neuentwicklungen für das österreichische Schulwesen initiieren können:
- In den Lehrplänen und Stundentafeln könnte die Anzahl der Präsenzstunden zugunsten einiger Fernunterrichtsstunden reduziert werden.
- Dem personalisierten Lernen zu Hause könnte eine größere Bedeutung zukommen.
- Digitale Unterrichtsmaterialien sollten von den Schulbuchverlagen vermehrt zur Verfügung gestellt werden.
- Die Lehrer/innenfortbildung sollte vermehrt über Webinare und Onlineveranstaltungen durchgeführt werden.
- Die technische Infrastruktur an Schulen und in den Familien muss für den digitalen Unterricht adaptiert werden.
Diese Liste an Maßnahmen erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und kann sicherlich von jenen, die ihre Erfahrungen aus der Praxis des Unterrichtens während der letzten schwierigen Zeit gezogen haben, umfassend ergänzt werden.
Wie nutzen wir den Sommer?
Nun stehen jedoch zuerst einmal die ersten Sommerferien nach einem krisenbedingt verkürzten Schuljahr vor der Tür und alle Beteiligten können einmal kurz innehalten, die Ereignisse des jüngsten schulischen Lebens Revue passieren lassen und sich fragen:
Wie werden diese Ferien ablaufen? Wird in Sommerschulen und Sommercamps Versäumtes nachgelernt werden? Wird man versuchen, die Schockerlebnisse des physischen Unterrichtsentfalls durch Nichtstun und „Relaxen“ zu verarbeiten und zu vergessen? Oder wird versucht werden, über die nun tatsächlich allen zustehende unterrichtsfreie Zeit Kraft und Energie für das hoffentlich wieder in Normalität verlaufende kommende Schuljahr 2020/21 zu tanken ?
… und das Resümee?
Corona hat die österreichische Schule herausgefordert, verändert und vielleicht sogar etwas reformiert. Die Viruserkrankung hat es aber nicht geschafft, die Schule zu Fall zu bringen oder die Schul- und Lerngemeinschaften zu zerstören. Im Gegenteil, alle sind zusammengerückt und haben sich mehr Wertschätzung und Respekt denn je entgegengebracht. Es hat nicht alles zu hundert Prozent geklappt, es ist aber auch nichts völlig falsch gelaufen. Der gute Wille aller Beteiligten war feststellbar – die österreichischen Schulen, die Schulleitungen und die Lehrer/innen, haben gemeinsam mit dem BMBWF und den Bildungsdirektionen in den Bundesländern versucht, die negativen Auswirkungen der Pandemie so gering wie möglich zu halten – auch weil uns das Wohl und die Zukunft unserer Kinder und Jugendlichen, sowie ihrer Eltern und Familien, am Herzen liegt. Durch sehr viele positive Rückmeldungen über Betreuung und Unterricht gibt es Anzeichen dafür, dass uns hier auch einiges gelungen ist.
Das ist aber kein Grund, sich auf irgendwelchen Lorbeeren auszuruhen. Es ist eher Auftrag für alle, auch in Zukunft gegen Krisen gewappnet zu sein, das Beste für unsere Schüler/innen zu geben, und die Schulen wieder zu sicheren Orten des gemeinsamen innovativen Lehrens und Lernens zu machen.