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„Die Schulen der Zukunft gibt es bereits heute.“
Sektionsleiterin Iris Rauskala spricht im Interview u.a. über die langfristige Implementierung einer Digitalisierungsstrategie im österreichischen Bildungssystem, die wichtigsten Erkenntnisse aus den bisherigen Distance-Learning-Phasen sowie Inspirationen aus dem Ausland.
Beginnen wir mit einem Rückblick auf den Frühling 2020, als Österreichs Schulen erstmals von Präsenzunterricht auf Fernlehre umgestellt haben. Welche Learnings konnten Sie aus dieser Phase mitnehmen?
Ich glaube, dass wir alle, die im Bildungssystem arbeiten – Pädagog/inn/en, Schulleitungen, Verwaltungsbedienstete in den Bildungsdirektionen und im Ministerium – enorm viel aus dieser Phase lernen konnten. Eine der wichtigsten Erkenntnisse ist sicherlich jene, dass, egal wie weit wir in der Digitalisierung kommen, Schule vor allen Dingen ein sozialer Ort ist und Lernen in einem geschützten Klassenverband, in dem man vertrauensvoll miteinander aber auch mit der Lehrkraft umgeht, am besten funktioniert. Das betrifft vor allem die Vermittlung von neuem Stoff und sozialen Kompetenzen. Im Frühling wurde daher besonders gut sichtbar, was der Beruf Pädagogin/Pädagoge eigentlich bedeutet und welchen Respekt und Hochachtung er verdient.
Unabhängig davon konnten wir sehen, dass es extrem viel Engagement an den Schulstandorten gibt und es hauptsächlich am Einsatz der Lehrkräfte lag, wie gut die Schülerinnen und Schüler durch diese Zeit begleitet wurde, nicht daran, ob es sich um eine Volksschule, Mittelschule, AHS etc. handelte. Natürlich sind manche Schulstandorte in der technischen Ausrüstung weiter als andere und naturgemäß haben sich Lehrkräfte, die bereits mit digitalen Konzepten gearbeitet haben bzw. dem Thema Digitalisierung bereits vor Covid-19 offen gegenübergestanden sind, leichter getan als jene, die hauptsächlich auf klassischen Frontal- und Präsenzunterricht setzen. Das ist ein Punkt, den man in der Pädagog/inn/enaus- und -weiterbildung intensiv adressieren muss.
Wir müssen auf jeden Fall danach trachten, Schüler/innen nach einheitlichen Standards in sowie in einem annähernd ähnlichen Tempo an den Themenbereich Digitalisierung/Digitale Grundkompetenzen heranzuführen. Unser Ziel in den nächsten Jahren muss sein, dass Digitalisierung nicht zu einer weiteren Spreizung der Bildungsschere beiträgt, sondern diese wieder Stück für Stück schließt.
Wie spiegeln sich diese Learnings in der Strategie des Bildungsministeriums wider? Wird das Thema langfristig im System verankert werden?
Ja, auf jeden Fall. Wir können feststellen, dass sich der Norden, wo das Thema der Digitalisierung in der Bildung schon ein wenig früher aufgegriffen wurde als bei uns, mitunter leichter getan hat bei vielen Themen, zum Beispiel dabei, die Schüler/innen zu adressieren, den Schüler/innen klar zu vermitteln, dass es auch im Distance-Learning eine Tagesstruktur gibt, Unterrichtsinhalte zu vermitteln, Aufgaben zu verteilen und wieder einzusammeln. All diese Dinge sind im Norden in Form von E-Learning und Blended-Learning bekannt, weswegen man sich dort leichter getan hat, mit der Situation umzugehen.
Man muss aber natürlich trotzdem unterscheiden: Distance-Learning oder Homeschooling sind ja nicht dasselbe wie E-Learning-Elemente im Unterricht einzusetzen, geschweige denn digitale Grundkompetenzen zu vermitteln. Deswegen ist es für uns wichtig, jetzt die nächsten Schritte zu gehen, weil digitale Grundkompetenzen zu den Grundkompetenzen des 21. Jahrhunderts gehören, genauso wie lesen, schreiben, rechnen. Unsere Schüler/innen müssen die Möglichkeit haben, diese Grundkompetenzen systematisch zu erlernen. (Rauskala zeigt auf ihr Smartphone) Wischen können alle, aber das bedeutet nicht, dass man digitalaffin wäre oder irgendeine Möglichkeit hätte, damit später im Berufsleben bzw. in einer späteren Ausbildung zu reüssieren.
Wie sehr nimmt man sich bestehende Konzepte aus dem Norden zum Vorbild für die Entwicklung dieser systematischen Implementierung?
Was wir – ebenso wie die meisten europäischen Länder – intensiv versucht haben, war bzw. ist, mit Leihgeräten zu unterstützen. Man schafft es nicht, den aktuell bestehenden Gerätebedarf mit Neugeräten komplett abzudecken, aber ein pragmatischer Zugang aus dem Norden ist es zu sagen: Wir müssen uns besonders um jene Kinder kümmern, von denen wir wissen, dass sie zuhause weniger Möglichkeiten haben. In Schweden bspw. werden diese Kinder u.a. in die städtischen Bibliotheken geschickt bzw. wird ihnen aus den Schulen ein Gerät geliehen, damit sichergestellt ist, dass jedes Kind zumindest eine Mindestzeit die Möglichkeit hat, dem Distance-Learning zu folgen. Das ist ein extrem pragmatischer und gleichzeitig sozialer Ansatz, wo es nicht darum geht, Grundsatzdiskussionen, für die Österreich sehr berühmt ist, zu starten, sondern einfach zu sagen, jetzt müssen wir so gut wie möglich durchtauchen, danach müssen wir wieder nach einem professionellen Schulsetting Ausschau halten.
Auch in puncto Pädagogik gibt es in anderen Ländern innovative Zugänge von denen wir „abschauen“ können, wobei man beim „Abschauen“ sehr spezifisch bleiben muss. Jedes Konzept gilt es an die nationalen Rahmenbedingungen anzupassen.
Ab dem nächsten Schuljahr werden laut 8-Punkte-Plan des BMBWF Schüler/innen in der 5. und 6. Schulstufe mit Notebooks oder Tablets ausgestattet. Wie kann sichergestellt werden, dass diese Geräte auch pädagogisch sinnvoll im Unterricht eingesetzt werden?
Die Pädagoginnen und Pädagogen sind hier natürlich wichtige Schlüsselstellen, wir binden diese daher intensiv in unsere Strategie ein. Zum Beispiel über unseren Distance-Learning-MOOC (Massive Open Online Course), der im vergangenen Sommer erstmals stattgefunden hat, im November bereits im zweiten Durchgang gestartet ist und über den wir mittlerweile 17 000 Pädagoginnen und Pädagogen erreichen konnten. Im Zuge dieses Angebots kann einer Aus- oder Weiterbildung jederzeit ortsunabhängig und im eigenen Tempo beigewohnt werden. Nach dem Einführungskurs können Pädagog/inn/en die Basics der Fernlehre bedienen, also bspw. eine Lernplattform nutzen, Aufgaben über diese Lernplattform stellen und einsammeln etc.
Dieser MOOC ist für uns mehr oder weniger ein „Appetizer“, um auf das vielfältige Weiterbildungsangebot der Pädagogischen Hochschulen zu verweisen. Es gibt extrem viele Angebote, vor allem zur Verknüpfung digitaler Kompetenzen mit pädagogischen Inhalten. Wichtig ist ja nicht nur zu wissen, wie benutze ich eine Lernplattform, sondern v.a. wie kann ich digital kompetent bspw. in Geographie, Deutsch, Englisch etc. unterrichten.
Außerdem statten wir in der digitalen Endgeräte-Initiative auch die Lehrkräfte mit Geräten aus. Wenn auch nicht alle ein persönliches Gerät erhalten, so werden wir dennoch genügend Geräte an den Schulen haben, damit die Lehrkräfte den Unterricht gut organisieren und abhalten können.
Eine der größten Herausforderungen in Bezug auf Distance-Learning wird europaweit in der Erreichung der Volksschulen gesehen. Gibt es für diesen Bereich konkrete Maßnahmen?
Der Volksschulbereich ist sensibel. Wir verstehen die Beunruhigung vieler Erziehungsberechtigten, die nicht möchten, dass ihre Kinder schon in diesem jungen Alter mehrere Stunden vor einem Display verbringen. Es ist in diesem Bereich daher umso wichtiger, pädagogisch wertvoll und gut ausgebildet an dieses Thema heranzugehen. Was wird jedoch auch im Volksschulbereich bereits adressiert haben, ist die Vereinheitlichung der Kommunikationswege. Wir haben festgestellt, dass es im Frühling starke Uneinheitlichkeiten in der Kontaktaufnahme gegeben hat. Die Nutzung unterschiedliche Kanäle und Plattformen hat zu einer entsprechenden Überforderung der Erziehungsberechtigten beigetragen, die meistens ja auch im Homeoffice zu Hause waren und zusätzlich die entsprechende Begleitung ihrer Kinder vornehmen mussten. Hier geben wir die Empfehlung aus, dass man sich auch im Volksschulbereich einen Hauptkommunikationsweg überlegt. Dort, wo es eine Lernplattform gibt, und das sind gar nicht so wenige Volksschulen, umso besser – wichtig ist jedoch, dass man sich die Kommunikation gut überlegt.
Es gibt auf dem freien Markt ein sehr breites Angebot an Apps und Plattformen, die sich zur Unterrichtskommunikation und Lehrstoffvermittlung nutzen lassen. Welche Maßnahmen gibt es seitens BMBWF, um mit dieser Fülle umzugehen?
Wir bieten hier zwei Projekte an. Die Eduthek und das neue Gütesiegel für Lernapps. Die Eduthek ist, wie der Name schon vermuten lässt, ein Ort zum Auffinden von Unterrichtsmaterialien. Neben klassischen Schulbüchern gibt es eine zunehmende Zahl an digitalen Materialien, die qualitätsgesichert sind oder von einem kleinen Redaktionsteam der Pädagogischen Hochschulen qualitätsgesichert werden. Diese stehen auf der Eduthek zur Verfügung und sind nun auch entsprechenden Lehrplänen zugeordnet, damit Pädagog/inn/en schnell und einfach die für sie passenden Inhalte finden können. Wir werden die Eduthek natürlich weiterhin laufend verbessern und ausbauen.
Parallel dazu hat sich in den letzten Jahren das Angebot von Lernsoftware massiv vervielfacht. Ein Bereich, in dem die Schulen derzeit auf sich alleine gestellt sind. Jeder Pädagoge, jede Pädagogin hat ja selbst die Möglichkeit, seine/ihre Unterrichtsmaterialien zu bestimmen und hat insofern auch die Qual der Wahl, entsprechend Software auszuwählen. Wir wissen, dass das in einem Bereich, in dem man sich selbst vielleicht nicht so ganz sicher fühlt, eventuell noch einmal schwieriger ist, als im Bereich der klassischen Bildungsmedien. Hier möchten wir mit einem Gütesiegel für Lernapps zukünftig entsprechend unterstützen. Ziel ist, dass Anbieter/innen von Lernsoftware ihre Software von einem unabhängigen Team bestehend aus versierten Pädagog/inn/en ihre Software testen lassen können und sich mit dieser qualitätsgesicherten Software sukzessive eine weitere Bibliothek füllt, aus der Pädagog/inn/en auswählen können. Die Pilotierung ist mit August 2021 geplant, wir sind hier aktuell in der Vorbereitungsphase.
Wenn Sie wir noch einen Schritt weiter in die Zukunft schauen: Wie stellen Sie sich eine digitale Schule in zehn Jahren vor?
Die Schule ist ein sozialer Ort, der Kinder und Jugendliche vor allem zur Inspiration anregt, ihnen täglich neue Dinge zum Erlernen mitgibt – sei es sozial, sei es kompetenzmäßig – der den Schülerinnen und Schülern aber vor allem eines vermittelt: Das Interesse und die Neugier, sich mit Dingen auseinanderzusetzen. Die Digitalisierung soll die Pädagoginnen und Pädagogen dabei unterstützen genau das zu ermöglichen und soll sie weiters von administrativen Aufgaben entlasten, sodass sie dort sein können, wo sie wirklich gebraucht werden: Im Lern- und im kritischen Interaktionsprozess mit den Schüler/inne/n, um die Begabten weiter zu fördern und zu fordern, die etwas Schwächeren zu unterstützen.
Mittels geeigneter Software soll Schüler/inne/n bspw. die Möglichkeit gegeben werden, auf einen Blick zu sehen, wo habe ich das Ziel erreicht, wo habe ich es noch nicht erreicht, wo muss ich mich verbessern und die vor allem sofort eine Rückmeldung auf mein Problem, auf meine Herausforderung gibt.
Dies bedingt natürlich auch eine andere Form des Unterrichts. Es braucht mehr unterschiedliche Zonen in einer Klasse: Orte, wo sich Kleingruppen zurückziehen können, Orte, wo man sich alleine zurückziehen kann, um etwas zu erarbeiten, Orte, wo man im Klassenverband miteinander lernt. Es gibt auch hierzu mittlerweile viele gute Beispiele. Vielleicht gibt es dann auch originelle Bastel-, Werk- und Technikräume, wo man die kreativen Möglichkeiten des digitalen Unterrichts nutzen und Inhalte bzw. Aufgabenstellungen vernetzen kann, bspw. im Bereich Robotik und Programmieren.
Ich glaube in so einem Umfeld können wir die Möglichkeiten der Digitalisierung voll ausschöpfen und unseren Schülerinnen und Schülern jenseits einer Silo-Wissensarchitektur vermitteln, wie die Welt gesamthaft funktioniert und wie sie selber diese Welt mitgestalten können.
Es gibt diese Schulen, die genau das liefern, was wir uns in zehn Jahren flächendeckend wünschen würden, übrigens heute schon. Wir sind also auf dem richtigen Weg.
Details zum 8-Punkte-Plan des BMBWF finden Sie auf der Website digitaleschule.gv.at.